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Nachfolgend unsere aktuelle Pressemeldung:

 

 

22.2.2020 – Ein Wettbewerb mit zwei Gewinnern

 

von Marc Mandel (MM)

 

Dass der Saal der Centralstation am Samstag restlos ausverkauft war, braucht gar nicht mehr erwähnt zu werden: Immer, wenn es heißt „Science Slam in der Hirnstadt Darmstadt“, sind spätestens sechs Wochen vor dem Termin legal keine Eintrittskarten mehr zu bekommen. Deshalb gleich an dieser Stelle: Der nächste „Science Slam in der Hirnstadt Darmstadt“ beginnt am 10. Oktober um 19 Uhr 30. Die Centralstation beginnt mit dem Kartenvorverkauf im August 2020. Darüber hinaus gibt es zum Heinerfest am 3. Juli im Darmstadtium ein Special.

 

Das Rahmenprogramm bildete diesmal ein alter Bekannter: Hans Schroll aus Lindenfels war bereits vor einem Jahr zu Gast in der Centralstation. Auf vielfachen Wunsch wurde der „Loop-Station Artist“ erneut eingeladen, der mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt nach Darmstadt verlegt hat. Er arbeitet dermaßen geschickt mit sogenannten Overdups und Mini-Samples, dass er gleichzeitig eine Beat Box produziert und mit sich selbst im Chor singt.

 

Als erster Science Slammer betrat der Philosoph Martin Weyrauch aus Etzen-Gesäß die Bühne und bot echte Lebenshilfe. Er hatte sich das „Trolley-Problem“ zum Thema gewählt, bei dem entschieden werden muss, ob ein Menschenleben geopfert werden darf, um mehrere andere Leben zu retten. In diesem Gedankenexperiment zeigte der Philosoph in der Centralstation, dass ethische Überlegungen in der Philosophie durchaus mit dem praktischen Leben zu tun haben können.

 

Den ersten Höhepunkt des Abends bildete Judith Alcock-Zeilinger aus Salzburg, die derzeit wissenschaftlich in Tübingen arbeitet. Voller sprühendem Humor nannte sie ihren populärmathematischen Vortrag „Irgendwas mit Gruppen“. Dabei ging es darum, dass Symmetrie-Eigenschaften mathematisch als Gruppe von Vertauschungen ausgedrückt werden können. Dies wurde eindrucksvoll an einfachen Beispielen, wie einem gleichseitigen Dreieck oder einem Glas Weizenbier demonstriert. Immer wieder provozierte sie Zwischenapplaus, beispielsweise mit einem Seitenblick in Spitzengeschwindigkeit auf das Cern in Zürich.

 

Die Psychologin Monja Neuser kommt eigentlich aus Griesheim, arbeitet jedoch heute ebenfalls in Tübingen. Ihr Vortrag trug den Titel „Gar nicht vermessen: Wie die Rettung der Psychiatrie viral geht.“ Anhand einer zerrissenen Hose zeigte sie, wie dysfunktionale Objekte – von den Jeans bis zu komplizierten Medikamenten – durch das Ausprobieren aussortiert werden können, wodurch eine positive Auswahl zurückbleibt. Außerdem fragt sie, wie Belohnungen im Gehirn verarbeitet werden und wie das mit unserem Verhalten zusammenhängt.

 

Aus einer ganz anderen Ecke kommt der Paläontologe Niklas Hohmann aus Wien, der momentan in Erlangen arbeitet. Am Beispiel des Großen Woogs zeigt er, dass die meisten Menschen unter Naturschutz kaum mehr als Nostalgie verstehen. Deshalb erforscht er anhand von Fossilien, wie Biotope vor vielen Jahrtausenden tatsächlich funktionierten. Das Problem wird "shifting baseline" genannt, da wir immer in unserer Jugend lernen was Natur ist und demnach einen Zustand für „natürlich“ halten, der schon seit Generationen von Menschen verändert wurde.

 

Eindeutig zu kurz kam am Samstag in der Centralstation die Tatsache, dass es sich ja schließlich um den Faschingssamstag handelte. Einen kleinen Anflug dazu bot Moritz Michael aus Frankfurt, der Zahnmedizin studiert hat. Er selbst bezeichnet sich als einen „Hirschhausen für Arme“. Am Samstag sprach er über ein Sekret, vor dem sich viele Menschen ekeln – nämlich dem Speichel. Dabei besteht der menschliche Speichel zu mehr als neunundneunzig Prozent aus Wasser. Und ähnelt damit fatal den meisten Biersorten, zum Beispiel Kölsch.

 

Die Mehrzahl der Science Slammer sind Männer. Am Samstag traten in der Centralstation jedoch daneben drei profilierte Wissenschaftsfrauen auf. Die dritte im Bunde war Janina Otto, die aus Marburg angereist war. Janina Otto hat mit ihrem Science Slam-Vortrag „Im Schweiße Deines Angesichts“ im Auftrag des Goethe-Instituts schon die halbe Welt bereist. Am Samstag sprach sie über „Pheromone“. Ein Pheromon ist ein Botenstoff zur Informationsübertragung zwischen Individuen innerhalb einer Art; Substanzen, die von einem Individuum nach außen abgegeben werden und bei einem anderen Individuum der gleichen Art spezifische Reaktionen auslösen – und zwar weitgehend unmerklich. Pheromone werden unbewusst wahrgenommen. Sie können fortpflanzungsbezogene physiologische Vorgänge oder entsprechendes Verhalten beeinflussen. Als Beispiel dient ihr das unbewusste Besetzen eines Stuhl in einem Warteraum.

 

Einen aktuellen Vortrag lieferte der Diplom-Psychologe und Doktor der Politik-Wissenschaften Moritz Kirchner aus Potsdam ab. Er zeigte am Fall Thüringen wie Demokratie immer komplexer wird. Als „Oralprediger“ gewährte er seinem Publikum einen unterhaltsamen Einblick in parlamentarische Entwicklungen in Zeiten der Multiparteien-Parlamente. Er forscht zum Thema Demokratie und Komplexität. Seine Grundthese ist, dass ein weiterer Anstieg der Komplexität die Grundfesten der Demokratie, welche ohnehin schon mit Vielfachkrisen zu tun hat, noch weiter erodieren lässt. Hierzu zeigt er auch Gegenstrategien auf politologischer Ebene auf, die helfen können, derzeitige Probleme in den Parlamenten zu lösen.

 

Aufgrund des anhaltenden Applauses könnte man bei ihm von einem „moralischen Sieger“ sprechen. Doch so eindeutig war dies nicht. Auch nach wiederholten Applaus-Versuchen konnte Science Slam-Erfinder Alex Dreppec keinen eindeutige Vorsprung vor Moritz Michael erkennen. So blieb ihm am Ende nichts anderes übrig, als die Siegertrophäe (einen Blumenstock) an die beiden Slammer zu übergeben.

 

Der nächste „Science Slam in der Hirnstadt Darmstadt“ beginnt im Saal der Centralstation am 10. Oktober 2020 um 19 Uhr 30. Karten sind ab August 2020 erhältlich.

 

Marc Mandel (MM).

 

Science Slam – das sind wissenschaftliche Kurzvorträge – von den Forschern selbst auf die Bühne gebracht – allgemein verständlich und als Publikumserfolg. Science Slam gibt es mittlerweile in ganz Europa, selbst in Chile, Indonesien und Südafrika. Seine Geburtsstunde schlug 2006 in Darmstadt. Der Verständlichkeitsforscher Alex Dreppec hat ihn in der Stoeferle-Halle aus der Taufe gehoben. Der Science Slam ist jedoch nirgends so Original, wie in der Stadt, in der er erfunden wurde.

 

 

Hochauflösende Fotos für die Publikation können Sie von dieser Seite herunterladen. Das Kennwort erfahren Sie von Marc Mandel. Bitte beachten Sie die Legende und den Copyright-Hinweis. Danke.