Petra Neumann-Pristaj am 12. Mai 2014 im Darmstädter Echo
Den Kleiderschrank in Formeln packen
Science Slam – Fünf Wissenschaftler präsentieren ihr Wissen mit Witz in der ausverkauften Centralstation
Johannes Kretzschmar aus Jena macht sich nichts aus Mode. Am wohlsten fühlt sich der bebrillte, leicht mollige Experte für Künstliche Intelligenz in praktischen, schwarzen Klamotten. Er kann daher nicht verstehen, warum seine Freundin Nadine trotz ihres vollen Kleiderschranks häufig jammert, sie habe nichts anzuziehen.
Um ihr zu helfen, hat Kretzschmar seine und ihre Kleidung nach funktionalen Eigenschaften und Trageanlässen katalogisiert und sie als Matrix aufgeschrieben. Er erfasste seinen und Nadines Kleiderschrank und sogar den Waschrhythmus der Textilien in Formeln. Das Ergebnis fiel für ihn, den Kleidungspragmatiker, zufriedenstellend aus – vor Nadines modischen Auswahlkriterien allerdings musste er kapitulieren. Sie könnten wohl nur vom größten Superrechner der Welt erfüllt werden.
Mit diesem heiteren Beitrag zum Thema „Komplexität und Berechenbarkeit von (Kleider) Mode“ hätte Kretzschmar den neunten Sciene Slam in der Centralstation fast gewonnen. Doch das ausschlaggebende Publikum bedachte den Chemiedidaktiker und Informatiker Amitabh Banerji (Köln) mit Applaus in gleicher Lautstärke. Im verdunkelten Saal hatte der Inder nicht nur mit LED-erhelltem schwarzen T-Shirt den „Gangnam“-Style vorgetanzt, sondern auch fix und redegewandt ein – nicht ganz geglücktes – Experiment mit „Fantastic Plastic“ vorgeführt: wie man OLEDs (organische Leuchtdioden) preisgünstig im Chemieunterricht herstellen kann.
Und so haben Kretzschmar und Banerji „ein bisschen, aber auch dann doch nicht gewonnen“, wie Co-Moderator Axel Röthemeyer mit treffender Fuzzy-Logik feststellte. Als Prämie hatte Moderator und Sciene-Slam-Erfinder Alex Dreppec dem Sieger ohnedies nur einen „abscheulichen Drink“ in Aussicht gestellt.
Fuzzy-Logik – das ist ein Stichwort, das sich das Publikum sicher merken wird. In rasantem Tempo erklärte Helmut Dressler, Regeltechniker, ältester Slammer in der Runde und früherer Darmstädter Stadtverordneter (1989 bis 1996), die Geschichte der Logik ab Adam und Eva bis Lotfi A. Zadeh, dem Schöpfer der Theorie unscharfer (fuzzy) Mengen.
Zwischen richtig (1) und falsch (0)Innerhalb des Bandbereichs richtig (1) und falsch (0) werden alle möglichen Werte angenommen. Die haben Dressler und sein Kompagnon nach einem ausgeklügelten Ranking in einer Datenbank hinterlegt und einen differenzierten Fuzzy-Wahl-O-Mat für die vergangene Europawahl entwickelt. Auch für Partnerbörsen oder auf dem Immobilienmarkt könnte er eingesetzt werden, was aber bisher nicht der Fall war.
Slammer Moritz Pohl (Frankfurt) schreibt gerade an seiner Doktorarbeit in Kernphysik und kann sich vorstellen, beim Rückbau des Kernkraftwerks Biblis mitzuwirken. Er verriet dem Publikum, wie man einen 12 Meter langen Bus in eine sechs Meter lange Garage parkt. Dies klappt nur mit Hilfe der angewandten Lorentzkontraktion, einem Phänomen der Relativitätstheorie.
Physiker, Hobby-Ritter und Science-Slam-Moderator Philipp Schrögel (Bensheim/Karlsruhe) nutzte Lego-Klötzchen und –figuren, um Vor- und Nachteile von Bürgerbeteiligung („Lasst die auch mal mitspielen“) aus der Sicht von Politikern und Wissenschaftlern darzustellen. Fazit: Sie ist sinnvoll, muss aber richtig gemacht sein.
„Eingeslamt“, wie es Axel Röthemeyer ausdrückte, wurde das Publikum von Telekommunikationsfachmann und Informatik-Professor Michael Massoth (Hochschule Darmstadt). Er erklärte, wie die Informationsnetzwerke weltweit funktionieren und gab Tipps zur sicheren Internet-Telefonie mit Hilfe des neuen Personalausweises.
Poetry Slammer Tilman Döring schockte und entzückte die Zuhörer abwechselnd mit pfiffigen Wortspielereien und eigenartigen Vergleichen, etwa zwischen Schreiben und Onanieren. An diesem Abend kam auch das Publikum mal zu Wort und durfte den Refrain „Sciene Slam kommt heim“ für einen Film mitsingen, der auf Youtube eingestellt wird.